2. Tag - St. Moritz
[1.775m]
Besuch des Diavolezza
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Nach dem Aufwachen machte sich erst einmal eine leichte Unlust bemerkbar.
Obwohl die gestrige Anreise lediglich einen halben Tag gekostet hatte,
fühlte ich mich ein bisschen, als hätte man mich auf ein Rad ge-
flochten und den Berg hinunter geschubst.
Aber dieses Gerädert sein war auch kein Wunder, denn Zugfahrten brachten
- bei aller Bequemlichkeit - so ihre eigenen Anforderungen mit sich.
Die Werbung zeigt immer nur Bahnreisende in entspannter Haltung beim
Lesen, Telefonieren oder Briefeschreiben. In der Realität ist es nach
einigen Stunden nur noch anstrengend, nicht besonders aktiv sein zu können.
Autofahren beansprucht Körper, Geist und Reaktionsvermögen.
Bahnfahren dagegen nur den Geist und das Sitzfleisch. Und so schön die
wechselnden Aussichten aus den Wagonfenstern auch sind, so ermüdend
ist das Folgen der Augen nach den vorbeihuschenden Details, während
gedanklich das Unwichtige von Interessanten geschieden wird.
Daher ergab sich die beinahe zwangsläufige Tages-Devise: "ruhig angehen
lassen". Nach dem guten Schweizer Frühstück war die folgerichtige Idee,
erst einmal zu Fuß St. Moritz zu erkunden.
St. Moritz
Etliche Spazierwege sind im Ort ausgewiesen. Besonders reizvoll ist
ein Panoramaweg rund um den See.
Und im Ort laden Cafés, Restaurants und auch Weinstuben zum Verweilen ein.
Da wir uns noch einiges vorgenommen hatten, hielten wir den Spaziergang am See und durch
den Ort vergleichsweise kurz. Dabei tauschten wir das bei der Bettlektüre neu erworbene
Wissen über den Engadin und St. Moritz aus.
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Ruderparadies St. Moritz
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Blick auf St. Moritz Bad
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St. Moritz verdankt seine heutige Bedeutung den Heilquellen und dem Alpentourismus.
Der Ort besteht aus den beiden Teilen St. Moritz-Dorf und St. Moritz-Bad, die sich entlang
des Sankt-
Moritz-Sees erstrecken und dem eingemeindeten Ortsteil Champfer, ebenfalls an einem See gelegen.
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Der Lage an der alpensüdseitigen Engadiner Seenplatte verdankt St. Moritz auch
das trockene, von der Webung gern prickelnd genannte "Champagnerklima", mit
durchschnittlich 322 Sonnentagen im Jahr.
Bis in die Zeit um 800 bis 300 v. Chr. kann die Geschichte der ursprünglich Keltischen
Siedlung zurückverfolgt werden. Letzte Zeugnisse der frühen Besiedelung sind ein
Druidenstein nahe des Bahnhofs am östlichen Ortsrand und Ausgrabungsfunde die im
Engadiner Museum (an der gegenseitigen Grenze zum Ortsteil Bad gelegen) zu sehen sind.
Die erste urkundliche Erwähnung fällt in das Jahr 1139, anlässlich des Verkaufs
des Oberengadins durch den Grafen von Gamertingen an den Bischof von Chur.
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historisches St. Moritz
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Der schiefe Turm von St. Moritz
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Weltberühmte Confiserie
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Rathaus
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Waldschlößchen
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St. Moritz Bad hat sich rund um die kohlensauren Eisenquellen gebildet, auf welche
erstmals 1535 der Heilkundler Paracelsus hinwies. Eine dieser Heilquellen, die
Mauritiusquelle, dürfte aber bereits in vorgeschichtlicher Zeit bekannt gewesen sein.
Über den Rätoromanischen Namen des St. Moritzsees "Lej da San Murezzan" leitet sich
auch der heutige Ortsname Sankt Moritz ab.
Ein Kurhaus mit Trinksaal und Badekabinen entstand 1831. 1853 wurde eine weitere,
nach Paracelsus benannte Quelle gefasst. Problematisch war damals, dass es nur
wenige Unterkunftsmöglichkeiten für Gäste gab. 1855 erwarb Hotelgründer Johannes
Badrutt die aus dem 17. Jh. stammende Pension Faller und baute sie zum Hotel
"Engandiner Kulm" um. Dem Heilbäder- und Kur-Tourismus stand nun nichts mehr im Wege.
1859 tauchten auch die ersten Skifahrer im Engadin auf, noch Unverständnis und
Kopfschütteln bei den Einheimischen auslösend. Lediglich sechs Jahre später
etablierte sich der Wintersport in St. Moritz und zog neben dem Kurbetrieb
immer mehr wohlhabende Feriengäste an.
"Damit diese bequem zwischen der Kurzone in St. Moritz-Bad und dem Ortskern hin
und her pendeln konnten, entstand eine kleine Straßenbahn, die von 1896 bis 1931
St. Moritz-Dorf mit dem Ortsteil Bad verband. 1904 erlebte St. Moritz die
Anbindung an das rhätische Schienennetz. Zum Zeitpunkt der Streckeneröffnung
Thusis - St. Moritz war der Bahnhof von St. Moritz noch als Durchgangsstation
angelegt. Damals hätte die Rhätische Bahn (RhB) ihren Bahnhof aus planerischen
Gründen gerne unten am Seeufer gesehen. Die Gemeinde bevorzugte dagegen eine
zentrumsnahe Lage, damit die Uferzone als Promenade frei bliebe. Man einigte
sich schließlich auf den heutigen Standort. Damals sollte die Trasse durch
einen Tunnel unter dem Dorf hindurch in Richtung St. Moritz-Bad, Champfer,
Silvaplana über den Majola weitergeführt werden. Doch der Ausbruch des Ersten
Weltkriegs, damit verbunden das Ausbleiben der Touristen, und die absehbar
hohen Baukosten im BergeIl, an denen die betroffenen Gemeinden nicht Anteil
haben wollten, machten alle Planungen zunichte." (MERIAN live)
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Heute hat der Ort über 5.000 Einwohner, die gut zur Hälfte als Dienstleister
für den Fremdenverkehr arbeiten.
Schweizer Shopping-Mall
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kleines Hotel
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Konferenz-Hotel St. Moritz
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modernes St. Moritz
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Uns fällt auf, das St. Moritz bis auf den alten Siedlungskern mit malerischen Gassen,
ähnlich 'verbaut' ist, wie Gemeinden zu Hause in den späten 1960er Jahren.
Vieles historisches musste offensichtlich der Infrastruktur des Alpentourismus
weichen. Aber die Bausünden der Vergangenheit sind heute nur noch Anlass es besser
machen zu wollen.
Den 2004er Ehrentitel "Energiestadt" hat sich St. Moritz anscheinend zu Recht verdient,
den außer auf die Wasserkraft setzt man stark auf Biogas und Photovoltaik. Beispielsweise
wird die Seilbahn auf den Piz Nair komplett mit Solarstrom betrieben.
Von St. Moritz-Dorf aus lassen sich direkt drei Bergspitzen mit Gletschern erreichen.
Die Nachfrage, welcher Eisstrom der 'schönste' wäre, erbringt eine unerwartete Antwort:
keiner dieser drei, sondern - etwas abgelegener - der Diavolezza.
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Seilbahn zum Piz Nair
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Bernina-Bahn
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Lej da Diavolezza
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Diavolezza
Wegen der guten Anbindung aller öffentlichen Transportgelegenheiten steigen wir im Ort in die
Bernina-Bahn und fahren eine handvoll Stationen Richtung Bernina-Hospiz.
Ab der Station Bernina-Diavolezza führt eine Seilbahn bis auf den Gebirgssattel zwischen Sass Queder und Munt Pers.
Über den Gletschersee Lej da Diavolezza steigt die Kabinen-Seilbahntrasse bis zum 2.978m hoch gelegenen Bergsattel
zwischen Sass Queder [3.066m] und Munt Pers [3.207m].
Der bekannteste Gipfel im sich darbietenden Panorama dürfte der Piz Palü sein.
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Berghaus und Hotel Diavolezza
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Panorama-Übersichtstafel vor dem Hotel
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Von hier aus kann man auf einem Klettersteig über den Vadret-Pers-Gletscher bis zum Zusammenfluss mit
dem Vadret da Motscheratsch-Gletscher 2.700m unterhalb der Isla Persa steigen.
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Vadret da Morteratsch
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Die Kletterei ist durchaus anstrengend, aber die Aussicht auf die beiden Gletscher
entschädigt völlig für die Anstrengung.
Leider zeigt sich, das diese Landschaft einer Entwicklung zum schlechteren unterliegt -
zumindest aus Sicht der Schweizer Touristiker. Denn die Gletscher schrumpfen; Und
das nicht erst seit heute. Direkt unterhalb des Rhonegletschers wurde beispielsweise
vor 100 Jahren ein Hotel für die Alpenreisenden errichtet. Heute liegt es in einer
Geröllwüste, die niemand mehr besuchen mag. Auch Pers und Morteratsch sind bereits um
mehrere 100m vermindert.
Um das schlimmste, den endgültigen Rückgang, zu verhindern, haben die Schweizer (nicht
nur hier) geforscht ... und sie handeln.
Das Hauptproblem ist nicht so sehr die durchschnittliche Klimaerwärmung um etwa ein Grad Celsius,
sondern die Intensität der Sonneneinstrahlung.
Das Eis wird so sehr von Sonnenstrahlen bombardiert, das es abzuschmelzen beginnt, lange
bevor die höhere Temperatur es verflüssigen könnte.
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'Abdeck-Plan'
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Also wird der Gletscher im oberen Bereich einfach zugedeckt!
Was zunächst verrückt erscheint, ist durchaus sinnvoll. Die Abdeckungen haben ein ähnliches
Weiß wie das Eis selbst und reflektieren die Strahlung sogar noch etwas besser.
Der verhüllte Gletscher bleibt unter den Decken schön kalt, und so wird das Eis erst
in einem Bereich geschmolzen, in dem das ohnehin passiert wäre.
Ob diese Maßnahmen allerdings dauerhaften Erfolg bringen, darf bezweifelt werden.
Vielleicht sehen die Alpen bald wieder so aus wie in römischer Zeit, als Hannibal (248 v.Ch.)
mit seinen Elefanten über bewaldete, eisfreie und nur durch die einheimischen
Kelten gefährlichen Pässe zog.
Die Liebe zu den Gletschern haben die Alpin-Touristen jedenfalls in einer Ära entwickelt,
in deren Mitte die Flüsse Nord-Europas, wie Rhein, Rhone und Themse, winters regelmäßig zufroren.
Aber damals gab es ja auch noch so viel Lachs in unseren Flüssen, das sich besser gestellte
Dienstboten eine Garantie in ihren Dienstkontrakt schreiben ließen, das ein Tag in der Woche
kein Lachs auf dem Speiseplan für das Gesinde stehen dürfe.
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Gletscher-Plumeau
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Zudecker
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Unsere Mägen fordern inzwischen einen Tribut an die Frischluftkletterei und eingedenk der
dienstbötlichen Anti-Lachs-Klausel kehren wir zum Hotel zurück. Dort werden wir bestimmt
eine brauchbare Brotzeit, oder doch Kaffee und Kuchen erwerben können. Mit höheren Preisen
als gewohnt rechnen wir sowieso. Tatsächlich ist sogar die Terrasse geöffnet. Angesichts
etlicher Dreitausender Gipfel schmeckt es dann noch mal so gut.
Piz Nair und die Griechen
Während wir uns auf dem Diavolezza herumgetrieben haben, ist ein Pärchen, mit dem
wir häufiger Kontakt aufnehmen und Informationen austauschen, auf den näher bei
St. Moritz gelegenen Piz Nair 'gekraxelt'.
(Na ja, auch mit der Seilbahn hoch gefahren).
Dabei sind die zwei über eine interessant Geschichte gestolpert, die ich hier wiedergeben will.
Die Könige von St. Moritz
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Brotzeit
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Örtliche Presse | 3. Dezember 2006
Sie besitzen Hotels und Bergbahnen und sind die größten Grundbesitzer vor Ort.
Eine griechische Familie und ihre kostspielige Liebe zum Engadin.
Es ist wieder so weit. In St. Moritz ist die Skisaison eröffnet, bald werden sie
wieder alle kommen, die exklusiven Winter-Einwohner des Skiorts, der sich hartnäckig
"Top of the World" nennt. Mit den Flick, von Opel, Burda, Onassis und Thyssen werden
auch zwei unauffällige Brüder anreisen, die in St. Moritz kaum jemand auf der Strasse
erkennt, deren Name im Engadin aber allen ein Begriff ist. Ein Name, der meist nur Lob
im Stil von "eine großzügige Familie" oder "nette Leute" und nur ganz gelegentlich ein
nachdenkliches "reiche arme Familie" auslöst:
die Brüder Niarchos.
***
(Zitat Ende)
1999 eroberte Constantine Niarchos als erster Grieche den Mount Everest; nur, um 14 Tage
später in St. Moritz an einer Überdosis Kokain zu sterben. Dennoch haben die hiesigen
Einwohner den ihm und seiner Familie auf den Piz Nair ein Denkmal errichtet - oder
genauer deren drei:
Erinnerung an die Besteigung des Mount Everest
Niarchos erste Jacht als Objekt vorm Berghotel
Eine Steinbockstatue auf einer Felsspitze nahebei
Weiteres der Schweizer Presse zur Familie Niarchos:
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Erinnerungstafel (Piz Nair)
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Steinbock-Denkmal/Wahrzeichen (Piz Nair)
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Kosten und Kost
Während der Tag sich dem Ende zuneigt, sind wir wieder in St. Moritz angekommen.
Im Hotel sehen sich jene wieder, die Halbpension gebucht haben. Aber wir 'Viertelpensionisten'
dürfen uns jetzt auf die Suche nach einem Restaurant machen. Dabei unternehmen wir
natürlich auch einen abendlichen Schaufensterbummel.
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Höhen-Ausblick
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St. Moritz von oben
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Hundetrainingsplatz
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Höchstpreis-Boutiquen
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Die Auslagen der Boutiquen und Geschäfte sollen zum Kaufrausch verführen, aber
sie lassen stattdessen eher den Blutdruck steigen. Meine Pumpe schlägt jedenfalls
einige Male Purzelbaum. Besonders teuer sind selbstredend Luxuskleidung wie beispielsweise
Maßschuhe und die regionalen Lebensmittel: Biokäse, Schweizer Schokolade, Bündner Nusstorten und Walliser
Trockenfleisch nebst Engadiner Salami.
Die Schweiz ist ein sehr teures Pflaster; dafür sind die Einkommen der Einheimischen
entsprechend hoch. Doch wie es so schön heißt: "Gucke koscht nix". Daher sind
zumindest Spaziergänge und Schaufensterbummel Vergnügen, die nicht nur
den "Reichen und Schönen" vorbehalten sind. Die Schaufensterauslagen reichen von
den üblichen Touristengimmicks wie 'St. Moritz im Schnee', Postkarten, 'Kuhglöckle' oder
Schals mit Schweizer Kreuz bis hin zu Angeboten der "Kulinarik", z.B. 'Fertig-Fondue'.
Natürlich hätte man tagsüber auch Schuhe, Anoraks oder echte Leckerbissen kaufen können.
Viele Schilder schreien 'Occasion', was hierzulande 'Sonderangebot' bedeutet.
Schließlich finden wir ein nettes Lokal, um eine der zahlreichen Schweizer
Spezialitäten als Nachtmahl
zu ordern.
Die Palette reicht von leichten Salaten, über deftig belegte Brote bis hin zum eher
schweren Käsefondue.
Die häufigen Begriffe »traditionell« oder »einheimisch« täuschen erst einmal über
die vielfältigen Einflüsse in der Schweizer Küche hinweg. Die Verwendung von Maismehl
verweißt auf die südländische Küche (Polenta!), die verschiedenen Teigtaschen
(Pizzochels, Pizzocheri, Pizzokels) sind oft mit einer Mischung aus Weißkohl (der hier 'Kabis' heißt),
Spinat und Käse gefüllt.
Beim Bündner Fleisch handelt es sich um gepökeltes, an der Luft
getrocknetes Rindfleisch von der Keule. Es wird in hauchdünne
Scheibchen geschnitten und dazu bekommt man frisches »Ruchbrot«
(Weizenmischbrot mit feinem Roggenschrot) und einen Pinot Noir
(Blauburgunder) serviert.
Ein weiteres typisch bündnerisches Gericht sind die »Capuns«:
hausgemachte Mangoldwickel mit einer deftigen Füllung aus
Landjäger- und Schinkenstreifen, sowie Petersilie.
Im Herbst locken die Restaurants zusätzlich mit Wildspezialitäten.
Gems- oder Hirschpfeffer gehören dann zum Standard jedes besseren
Lokals. Diese Schmankerl schmecken besonders mit landestypischen
Beilagen, wie glasierten Maroni, Pfifferlingen oder »Plein en pegna«,
einer Mischung aus Polenta, geriebenen Kartoffeln und Landjäger-Stückchen,
die goldgelb gebacken wird.
Zu den Klassikern aus dem Wallis gehört auch das Raclette, welches üblicherweise mit Pellkartoffeln,
sauer eingelegten Zwiebeln und Delikatessgurken gereicht wird.
Ausgezeichnete Spirituosen, wie Pflümli, Grappa oder Apfelbrand schenken einen genußvollen
Abschluss
der Schlemmerei. Bettschwer fühlt man sich nach einem solchen Abendessen sicherlich.
Wir speisen etwas bescheidener und tapsen dann durch die Nacht zum Hotel. Das Bett ruft.
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