Die Zeit vom Ende des 17. bis zur Mitte des 19. Jhd. wird als die "dunkelste Periode"
der Krankenpflege bezeichnet und sie ist es wohl auch gewesen, obwohl die Medizin
in dieser Zeit ständige und bedeutende Fortschritte machte:
Harvey: Entdeckte den großen und kleinen Blutkreislauf
Sydenham: Seuchenforscher (Chinarinde è Malaria)
Malpighi: Entdeckte die Kapillaren
van Leeuwenhock: verbesserte das Mikroskop so weit, dass man
Erythozyten und Mikroben sehen konnte
Morgagni: Begründer der pathologischen Anatomie
von Haller: Erstes Lehrbuch der Physiologie mit hochbedeutenden Erkenntnissen.
Jenner: Pockenschutzimpfung
Die innere Medizin wurde durch die Kunst der Perkussion und Auskultation bereichert,
und auch die Chirurgie machte bedeutende Fortschritte. Es entstanden medizinische
Fakultäten (Göttingen) und Forschungsinstitute und die ersten Kliniken.
Trotz all dieser großen Errungenschaften wurde der Wert einer sachgemäßen und
sorgfältigen Krankenpflege als Heilfaktor von den Ärzten noch nicht erkannt.
Wir sahen bereits das in den aufblühenden Städten im 14. und 15. Jhd. Bürgerhospitäler und
Krankenhäuser von Zünften und Gilden entstanden, die weltlicher Leitung unterstellt waren.
Das führte zunächst bei der noch einheitlichen religiösen Einstellung und Verwurzelung und
bei der in etwa ausreichenden Zahl von Pflegekräften nicht zu ernsten Schwierigkeiten.
Anders wurde die Situation im 16. und vollends im 17. und 18. Jhd.
Die Reformation brachte die Aufhebung der Klöster und sehr vieler krankenpflegender Gemeinschaften
in der Welt (3. Orden, Beginen). Dazu kam die Verarmung an materiellen Werten, Geld und Menschen,
durch die ungeheuere Verschwendung absolutistischer Fürsten (Ludwig XIV, 1643-1715, und all seiner
Nachahmer an kleinen Höfen) und durch mehrere große und kleine Kriege, wie beispielsweise:
in Frankreich die Hugenottenkriege 1562-1629
die Kämpfe der Fronde 1648-1653
Seuchen kamen hinzu, das Elend wuchs.
Viele Anstalten für Kranke und Notleidende gingen unter. In einigen Residenzstädten entstanden
in Prunkbauten Riesenspitäler, die in jeder Beziehung wie Schwierigkeit der ärztlichen und
pflegerischen Betreuung der Kranken, der notwendigen Hygiene, Vermehrung
der Infektionsgefahr (Hospitalfieber), unzweckmäßig waren.
Das Pflegepersonal wurde immer knapper, so daß man Penitentes gleich Büßerinnen und manchmal
sogar weibliche Sträflinge für die Pflege verwendete. Die bezahlten Pflegekräfte waren meist
ungelernte oft verantwortungslose und sittlich verkommene Wärter und Wärterinnen. Da die
Leitung der Spitäler in keiner Weise für die Pflegepersonen sorgte, weder hinsichtlich
auskömmlichen Verdienstes noch Unterbringung, Verpflegung und Arbeitsregelung, - von Anleitung
oder Ausbildung schon gar nicht zu reden - mußte sie sich aber auch mit den minderwertigen
Arbeitskräften abfinden.
Doch nirgends auf dem Kontinent erreichte der Verfall der Krankenpflege Ausmaße wie in England.
Dort hatte sich aus ganz persönlichen Motiven Heinrichs des VIII. (1491-1547)
die religiöse Umwälzung unter staatlichem Zwang sehr rasch vollzogen.
Die Klöster und jede Wirksamkeit Ihrer Bewohner, waren in der Zeit von zwei Jahren ver-
nichtet worden. Dazu kam, das England nie ein geregeltes Krankenhauswesen gekannt hatte.
Als die kirchliche Fürsorge und die klösterliche Tätigkeit wegfielen wuchsen Armut und Not
unaufhaltsam und der Verfall der Krankenpflege nahm fast unvorstellbare Ausmaße an, denn
die kommunalen und staatlichen Behörden waren der Notlage durchaus nicht gewachsen.
Der Rationalismus, religiöse Gleichgültigkeit und menschliche Selbstherrlichkeit des 18. und
19. Jhd. kamen nicht nur in England sondern auch auf dem Kontinent den unbegrenzten An-
sprüchen der Mächtigen und Besitzenden entgegen und alle Werke christlicher Liebe oder
auch nur der Humanität kamen für weite Schichten in Fortfall.
Aus dem Lebensbild Florence Nightingale entnehmen wir die nachfolgende Schilderung der Zustände
in englischen Spitälern:
"Die Böden waren aus gewöhnlichem Holz, weil sie fast nie gereinigt
wurden und die notwendigen sanitären Einrichtungen für die Patienten fehlten, waren sie mit
einer Schicht von Unrat bedeckt und wenn sie tatsächlich einmal geschrubbt wurden, strömten
sie einen Geruch aus der keinesfalls von Wasser und Seife kam. Wände und Decken waren nur roh
verputzt und vom Schmutz durchtränkt. Geheizt wurde durch ein einziges Feuer am Ende des Saales
und um der Wärme willen wurden die Fenster im Winter geschlossen gehalten. In manchen Spitälern
waren die Fenster im Winter zur Hälfte mit Brettern vernagelt. Nach einer Weile war der Geruch
zum Erbrechen. Die Feuchtigkeit floß an den Wänden herunter und es bildete sich winziges
pflanzliches Leben darauf ... Die Patienten kamen aus den Slums, aus den sogenannten "Krähenlöchern",
aus Höhlen und Kellern in denen die Cholera lauerte. Branntwein und Schnaps wurden in die Krankensäle
eingeschmuggelt und es spielten sich schreckliche Szenen ab ..."
Doch waren es nicht eigentlich die physisch ekelhaften Zustände die der Verwirklichung ihres
Planes entgegen standen. Das unüberwindliche Hemmnis war die berüchtigte Unmoral der Pflegerinnen
in den Spitälern. Die Bedingungen unter denen eine solche Pflegerin arbeitete waren derart, das
keine achtbare Frau sie ertragen konnte.
Mrs. Nightingale schreibt:
"Man sah es lieber, wenn die Pflegerinnen gefallene Mädchen waren
und sie sollten möglichst ein Kind gehabt haben."
Gewöhnlich schliefen die Pflegerinnen in den Sälen in denen sie pflegten und wenn es sich traf
schliefen sie auch in den Schlafsälen der Männer. Trunksucht war der Fluch der Pflegerinnen
nicht weniger als der, der Patienten.
"Die Pflegerinnen trinken alle, ob sie nun Schwestern sind oder nicht",
sagte der Arzt eines
großen Londoner Spitals im Jahre 1851:
"und es sind nur zwei Pflegerinnen da denen der Arzt
zutrauen kann, daß sie dem Patienten Ihre Medizin geben."
1854 erzählte die Oberschwester eines Londoner Krankenhauses Mrs. Nightingale; sie habe
im Lauf Ihrer langen Erfahrung keine Pflegerin gekannt, die nicht getrunken hätte;
immer wieder sei in den Krankensälen sogar offen Unzucht getrieben worden und sie führte
schreckliche Beispiele davon an.
Mrs. Nightingale selbst betreute einmal eine Pflegerin die zwischen Krankenpflege
und Prostitution abwechselte.
Aus einigen großen amerikanischen Krankenhäusern sind nach Seimer ähnliche Zustände berichtet.
Auf dem europäischen Kontinent hing der Grad des Verfalls davon ab, wieviel von der
Tradition der vergangenen Jahrhunderte erhalten geblieben bzw. verlorengegangen war.
Auch hier sind heftige Klagen über Mißstände überliefert, aber der Tiefstand von
England und Amerika wurde doch kaum erreicht.
Neben den rein weltlich geleiteten und betreuten Spitälern blieb immer eine beträchtliche
Anzahl von Armen-, Findelkinder- und Krankenhäuser im Besitz der Kirche oder religiöser
Genossenschaften. Diese Anstalten waren trotz mancher zeitbedingter Rückständigkeiten,
Herde religiös fundierter, dienender Liebe, und dadurch aufnahmefähig für die im 19.Jhd.
einsetzende Reform der Krankenpflege.
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